Aufgrund der Corona-Krise muss das Gespräch mit Ajna Jusić (Forgotten Children of War) und Melisa Erkurt leider abgesagt werden.
Wer einen Krieg miterlebt hat, erleidet körperliche und seelische Verletzungen. Über sexualisierte Gewalt in Kriegen wird selten gesprochen; sie ist weit verbreitet, aber immer noch tabuisiert. 2019 hat der UN-Sicherheitsrat eine Resolution gegen sexualisierte Gewalt in Konflikten angenommen. Dazu gehören den Vereinten Nationen zufolge nicht nur Vergewaltigung und Missbrauch, sondern auch erzwungene sogenannte Prostitution, Sterilisation, erzwungene Schwangerschaft oder erzwungene Abtreibung. Sexualisierte Gewalt während oder nach dem Krieg hat langwierige tiefe Auswirkungen auf die Opfer und ihre direkten Familienangehörigen. "Sexuelle Gewalt wird als älteste Waffe und am wenigsten bestrafte Tat in Kriegen bezeichnet. Wir müssen die Entschuldigung zurückweisen, dass Vergewaltigung in Kriegszeiten nicht zu vermeiden ist. Man kann sie stoppen." sagte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon auf der Londoner Konferenz gegen Kriegsvergewaltigung im Juni 2014.
Ist die Vergewaltigung von Frauen eine besonders effektive Kriegswaffe? Nach Schätzungen wurden bis zu 50.000 Frauen während des vier Jahre dauernden Bosnienkriegs vergewaltigt, mehrheitlich Musliminnen – alte wie junge, systematisch organisiert. Ziel war unter anderem die ethnische Vertreibung der muslimischen Bosnier. In patriarchalen Gesellschaften gilt die sexualisierte Gewalt an Frauen auch als besondere Demütigung der Männer. Unter den Opfern war auch Ajna Jusićs Mutter.
Die Filmemacherin Jasmila Žbanić rührte mit ihrem einfühlsame Frauenporträt "Esmas Geheimnis – Grbavica" 2006 an das Tabu der Vergewaltigungen im Bosnienkrieg. Der Film ist angelehnt an die Lebensgeschichte von Ajna Jusić und ihrer Mutter. Ajna ist eines der etwa 4000 "children born of war" - und heute eine junge Frau aus Sarajevo, die ihr Schicksal als „forgotten child of war“ selbst in die Hand genommen hat. Sie ist vom Opfer zur Aktivistin geworden und hat die Organisation „Vergessene Kinder des Krieges“ mitbegründet, um Gerechtigkeit einzufordern und andere Kriegskinder weltweit zu unterstützen. Dazu gehören auch Kinder von Vätern, die in internationalen Missionen in Bosnien stationiert waren. Auch sie haben Frauen aus Bosnien vergewaltigt.
Als Organisationsgründerin spricht Ajna Jusić heute bei internationalen (UN)Konferenzen über sexualisierte Gewalt im Krieg und deren Folgen. Sie teilt ihre Geschichte und trifft sich mit Jugendlichen aller ethnischen Gruppen – Serben, Kroaten und Bosniaken. Für sie hat Vergewaltigung keine Nationalität, sondern ist eine traumatische Erfahrung, die alle betrifft. Im Frühjahr 2019 organisierte sie eine Fotoausstellung in der Hauptstadt Sarajevo mit, in der Kinder und Mütter eine Stimme und ein Gesicht bekamen. Es ist neu in Bosnien, dass diese tabuisierte Vergangenheit öffentlich diskutiert und gezeigt wird. Ajna tritt auch gemeinsam mit ihrer Mutter öffentlich auf, u.a. am Sarajevo Filmfestival im August 2019, bei dem eine Dokumentation über dieses Thema gezeigt wurde. Regisseur Muhammed Ibrahim Sisman hat in seinem Film „Invisible Child“ (2019) Töchter von Vergewaltigungsopfern interviewt, eine davon ist ebenfalls Ajna Jusić.
Wir haben Ajna Jusić nach Wien eingeladen, um in einem Gespräch mit der Wiener Journalistin Melisa Erkurt über ihr Schicksal und ihre Initiative zu berichten. Moderatorin Melisa Erkurt (ORF, Falter, Biber) ist selbst in Sarajevo geboren und mit ihrer Familie im Zuge des Bosnienkrieges nach Österreich geflüchtet. Das Gespräch findet in bosnischer Sprache mit Übersetzung ins Deutsche statt (Übersetzung: Esma Diman-Murselović). Der Kontakt zu Ajna Jusić wurde durch das in Wien ansässige bosnische Frauenforum „Mimosen“ (Azra Merdzan) vermittelt.
Veranstaltung ist abgesagt!
Aktionsradius Wien
Gaußplatz 11
1200 Wien